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Neuerscheinungen von Random House/Bertelsmann * Frühjahr/Sommer 2014


Walter Kempowski/Simone Neteler:
Das Geraune der Menschen a
m Feuer

Es ist verständlich, dass sich die Rezeption und Diskussion zum „Echolot“ hauptsächlich um den Inhalt drehte, also darum, was  Menschen während des Zweiten Weltkriegs erlebt und erlitten haben. Darüber kann man nur schwer eine Würdigung im Sinne kritischer Literaturanalyse schreiben. Kritische Äußerungen zur Form würden, zwar zu Unrecht, aber dennoch so ausgelegt, als kritisiere man die Erlebnisse der Menschen in der Nazizeit. Geht also gar nicht.

Beim „Plankton“ verhält sich das anders. Hier nützt es gar nichts, wenn man einzelne Zitate brächte, um dieses oder jenes zu belegen oder zu widerlegen. Denn die Einlassungen all der Menschen unterschiedlichsten Alters, unterschiedlichster Herkunft, mit all den daraus sich ergebenden Implikationen, in einzelnen Zitaten zu verdeutlichen, wird dem Ganzen nicht gerecht. Auch wenn man die extremsten Äußerungen auf die Fragen Kempowskis auflistete, man hätte immer noch nicht das, was dieses Buch ausmacht. Nämlich gerade die Vielfalt und die scheinbare Beliebigkeit.

Es fängt an mit: „Studentin, * 1970 – Prominenz I Costa Cordalis habe ich gesehen. Da war ich aber noch jünger, sieben oder acht. Das war entsetzlich.“ Und endet so: „Student, * 1981 – Schlager I >> Aicha, Aicha, écoute-moi …<< Dann geht’s arabisch weiter.“ Nach dem Geburtsdatum findet man das jeweilige Stichwort zur Frage.

Und damit muss man über die Konzeption dieses Projekts sprechen. Kempowski hat verschiedenen Menschen verschiedene Fragen gestellt und die Antworten werden auf über 800 Seiten aufgelistet. Damit sind wir auch bei der Frage der Autoren- also Urheberschaft. Und bei einem Kunstkonzept eines Warhol, jeder ein Star für fünf Minuten, oder Beuys, jeder ist ein Künstler. Und damit sind wir bei der Kernfrage von Kunst und Künstler. Literatur und Literat. Wo hört Fremdes auf und wo fängt Eigenes an? Einen verschlüsselten Hinweis geben womöglich die Fotos. Zumeist ältere Aufnahmen von Gruppenansammlungen vor baulicher Kulisse. Der Kopf einer Person ist eingekreist und als Vergrößerung noch einmal eingeblendet. In der Masse wirkt das Gesicht einigermaßen scharf, in der Vergrößerung wird es undeutlich.

Kempowski selbst ordnet seine drei zusammenhängende Werke so ein: „Plankton = Schneekristalle – Echolot = verschneite Landschaft – Chronik = Schneemänner.“
Ich will die Frage „ist das Literatur?“ nicht beantworten. Sie ist ohnehin müßig. Aber das Buch ist eine sehr gute Gelegenheit, sich dieser Frage zu stellen. Lohnt sich die Lektüre? Ich denke schon. Es ist eine andere Art Zapping (als „Bloomsday 97“), über einen sehr langen Zeitraum und gelenkt durch die Fragen und die ordnende Hand eines Autors. Und da die Zeit außerhalb des Buches nicht stillsteht, wird das „Plankton“ zu einem Dokument sich ständig wandelnder Bedeutung. Konsequent nur, dass die Möglichkeit besteht, eigenes Plankton online dazu zufügen und sich so eine individuelle Print-on-Demand Version ausdrucken zu können.

Kempowski: „Es ist so, als ob mit <Echolot>/<Bloom> und schließlich mit <Plankton> die Literatur an eine Grenze gerät, von der aus oder an der sie umkehrt, zurückkehrt zum Geraune der Menschen am Feuer.“

Nick Harkaway: Der goldene Schwarm
Englische Rasanz = deutsche Behäbigkeit?

„Ein rasanter Genremix aus Spionageroman, Abenteuergeschichte und Gangsterkomödie, wie er nur aus England kommen kann.“ Die begeisterten Besprechungen, seien sie von The Independent, The Observer oder The Guardian ("Waghalsig und wunderbar erfindungsreich. Auf jeder Seite neue Ideen, schwungvoll und ungeheuer humorvoll erzählt."), sie haben alle den gleichen Tenor und liegen auch durchaus richtig.

Das Problem ist, dass sich britische Rasanz (oder auch Understatement, Humor) nicht ins Deutsche übersetzen lässt. Der Roman braucht mehr als 50 Seiten, um zum Thema zu kommen. Und Harkaway, ein Sohn von John le Carré, schreibt sehr britisch, eine Überfülle von Metaphern und Vergleichen und jedes und alles verdient eine originelle Darstellung.

„Selbst heute, da die dreißig nur noch in seinem Rückspiegel sichtbar ist und ihm von der nächsten Straßenecke bereits die vierzig düster entgegenblickt; nun, da seine Haut von den Lötverbrennungen und den Schnitten und Schürfungen ein wenig langsamer heilt als früher und sein Bauch weniger Waschbrett ist als eine gemütliche, wenn auch solide Bank, vermeidet es Joe, sie anzusehen.“

Das mag im Englischen unterhaltsam sein, klingt im Deutschen aber eher behäbig. Das liegt nicht an der Übersetzung, nein. Das liegt einfach an den unterschiedlichen Lebens- und Lesensweisen. Wollte man bei einem deutschen Leser den gleichen Effekt erzielen wie bei dem englischsprachigen Original, man müsste den Roman neu schreiben. Die Lektüre lohnt sich aber dennoch. Warum sich nicht bei einer Tasse Tee zurück- und die Füße hochlegen wie in good old England.

© by Klaus-Dieter Regenbrecht, Koblenz 2014

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