"Ich will
nichts besitzen und auch nichts sein. Ich habe keine Ambitionen."
John Steinbeck 1934 in einem Brief an George Albee.
Living
on the Border Line
Ein sublimer Jauchzer vom Limes
(Ein Aufsatz zum Thema "Literarische
Provinz") |
"Und
insofern ist das Wasser auf die Mühle meines Lieblingsgedankens, dass
Literatur eigentlich gar nicht zu sehr nach Erfolg streben sollte,
sondern sich mit dem Entzug beschäftigen sollte. Es hat auch Vorteile.
Man wird dann nicht mehr gestört durch Applaus oder Nobelpreise oder
ähnlichen Unfug, der einen daran hindert, unerkannt über die Straße
zu gehen."
Sagte Arnfrid Astel bei einer frei gehaltenen Rede während der
Saarbrücker Literaturtage in Otzenhausen 1999.* |
Herrschafts-, Geschäftsbereich
bedeutet provincia eigentlich und Amt, Wirkungskreis. Natürlich speist sich
das heutige Verständnis des Begriffs aus der Tatsache, dass die lateinischen
Provinzen, wie die germanischen Rheinlande, fernab der römischen Metropole
und damit fernab des kulturellen und geistigen Lebens lagen, fernab jeglichen
politischen Einflusses. Ist also der Begriff „literarische Provinz“ eine
Tautologie, ein schwarzer Rappe, da Literatur und ihre Schöpfer, wo auch
immer angesiedelt, fernab jeglichen politischen Einflusses und ohne
Herrschaftsbereich, fast immer ohne Wirkung(skreis) sind? Auch wenn es hie und
da welche mit dem Amt „Stadtschreiber“ gibt. Und kann eine Literatur mit
politischem Einfluss und in unmittelbarer Nähe zu den Herrschenden anderes
sein als Propaganda?
Ohne Frage, schreiben kann
nur, wer lebt, und wer schreibt, dessen Leben, dessen Lebensumstände werden
Einfluss auf sein Schaffen haben. Und jeder, der schreibt und Verstand hat,
wird wissen, dass die Entscheidung über die eigenen Lebensumstände eine ganz
wichtige literarische Entscheidung ist: Sich selbst sein Leben vorschreiben!
Werk und Leben sind immer ein Gesamtkunstwerk. Man mag darüber Zweifel hegen,
ob die vielen, die ihr Leben der Kunst geopfert haben, ein fragmentarisches Frühwerk
ablieferten und früh abtraten, das Zeug für ein Lebens-Werk über mehrere
Jahrzehnte hinweg gehabt hätten. Was natürlich den Wert des hinterlassenen
Werkes nicht schmälern soll.
Eine Feder kann ich mir schon
mal stolz an meinen Hut, die Redskin-Baseball-Cap, heften, ich bin 51 Jahre
alt und damit älter geworden als Kafka, deutlich älter, und mir geht es
gesundheitlich immer noch verdammt gut, ich fühle mich prächtig und das
Leben macht mir, trotz, oder gerade wegen der vielen Schwierigkeiten, eine
Menge Spaß – in der Provinz, wo das Leben ruhiger und damit meist gesünder
ist, jedenfalls für die, die sich dort wohlfühlen – und das tue ich.
Der Verlauf des Limes und
diverse Limestürme in unmittelbarer Nähe sind mir seit frühester Jugend
vertraut. Und an mindestens ein oder zwei Tagen in der Woche, auch im Winter,
quere ich den alten Grenzverlauf des römischen Reiches mehrfach mit
meinem Mountainbike. Und wenn ich dann abends auf meinem Balkon liege,
eine Flasche Hachenburger Light neben mir, und den Blick über das offen vor
mir liegende glitzernde Becken gleiten lasse, das Neuwieder Becken, weiß ich,
dass ich diesen Augenblick und diesen Ausblick für nichts in der Welt
eintauschen möchte. Fast nichts.
Natürlich kann ich mir
vorstellen, dass mein Leben anders verlaufen wäre oder verlaufen wird. Die
Vorstellung, in Manhattan zu leben oder in Berlin Mitte, hat ganz sicher ihren
Reiz, fernab jeglichen Karrierekalküls. Noch vor ein paar Tagen war ich am
Prenzlauer Berg bei einer Szenelesung, die sich im Übrigen nicht sehr von
einer Lesung in der rheinland-pfälzischen Provinz unterschied, abgesehen
davon, dass die (mir) unbekannte Autorin und Autor durch einen sauberen, unprätentiösen
Vortragsstil bestachen, ihre Texte alles andere als großstädtisch waren,
ihre Provenienz eher das Private.
Als ich ein paar Tage später
wieder auf meinem Balkon lag, hoch über dem Rheintal, den Westerwald im Rücken,
dachte ich mir, dass mir das doch besser gefällt als der nächtlich-verschlafene
Blick aus einem Berliner Hinterhoffenster auf Flaschen werfende Punks und
battle-dressed cops. Zugegeben, ich hatte vor allem Angst um mein Auto, das
auf der Straße stand. Mein erstes eigenes Auto, das ich seit fast einem Jahr
besitze. Und dann musste ich auch an meinen Roman von 1990 denken „Die
Grenze, der Strom und das Drama“, der 1989 in West-Berlin spielt und in
dem Szenen wie die eben beschriebene vorkommen. Berlin, Borneo, Bosnien sind,
unter anderen (das Rheinland z.B.), die Schauplätze meiner Romane und Erzählungen, ohne dass ich
überall persönlich gewesen bin. Wenn Lesen bildet, dann gilt: Schreiben,
wenn man es ernst nimmt, tut es noch viel mehr. So wie ich mir die Maxime
learning by doing um die Variante learning by teaching bereichert habe.
Realität und Fiktion, Leben
und Werk, sie sind so grundsätzlich verschieden, wie sie einander bedingen.
Und jeder weiß, dass es sich dabei um kein lineares, monokausales Verhältnis
handelt. Die Verbindungen und Abhängigkeiten sind komplex. Geschrieben habe
ich in diesem Jahr noch fast nichts. Ein halb fertiger Krimi ist da und wartet
auf Vollendung. Ein Konzept für einen historischen Roman habe ich, erste
Rechercheergebnisse liegen in der Schublade, bzw. auf der Festplatte; das
Backup natürlich auf CD gebrannt.
Aber gelebt habe ich und mein
Leben neu geordnet. In ein paar Wochen fange ich den ersten steady job meines
Lebens an. Einen Zwei-Jahres-Vertrag über eine Dreiviertelstelle habe ich
unterschrieben (Englisch in der IT-Ausbildung). Ich werde dann Montags, Dienstags und Mittwochs fremdbestimmt arbeiten.
Ich freue mich darauf.
Vor allem bin ich glücklich
darüber, einen Jahre langen, nervigen Kleinkrieg mit der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (Berlin) und der Künstlersozialkasse (Wilhelmshaven) einigermaßen
unbeschadet hinter mich gebracht zu haben. Provinz oder Metropole, die
Sozialgesetzgebung ist für freiberufliche Schriftsteller und selbständige
Dozenten nur mit einem Wort zu umschreiben: Scheiße (was kann ein Gesetz
schon taugen, in dem ein Begriff wie "Negativeinkommen" vorkommt). Mehr dazu, und zu vielem
anderem, was damit zu tun hat, kann man hier
erfahren.
Ja, ich bin online! Seit drei
Jahren, und mit kloy.de ist ein Paradigmenwechsel verbunden. Es gibt heute
Tage, an denen über 600 Mal Seiten von meiner Website abgerufen werden. Meine
Romane sind über die wichtigsten Online-Buchhändler zu bestellen und werden
es auch. Ich habe angefangen, mit meiner Web-Präsenz Geld zu verdienen. Ein
Beitrag über meinen Web-Auftritt in einem Fachbuch (Hrsg.: Müller-Grothe,
Reydt, Schmid: eBusiness – Was es bringt und was es
kostet, Luchterhand,
Neuwied 2001) belegt dies. Wen also interessieren noch die engen Grenzen der
Provinz, wenn man von überall Zugang zum global village hat? Wenn jeder von
seinem PC aus mit ein wenig Phantasie und Wissen, das man sich aneignen kann,
zum global player werden kann? Meine rein englischsprachige Website tabulitu.com ist mittlerweile auch im Netz. Und das Internet ist nicht nur eine Marktmöglichkeit,
ich habe völlig neue Literaturformen und Präsentationsformen für mich
entdeckt, die ich nicht mehr missen möchte, die ich im Gegenteil weiter
ausbauen werde.
Wann habe ich mich das letzte
Mal bei einem literarischen Wettbewerb beworben oder um ein Stipendium, wann
das letzte Mal ein Manuskript an einen Verlag geschickt? Oh Gott ..., was soll
das?! Mir geht es bestens, ich brauche das nicht. Ich lebe in meinem eigenen
literarischen Kosmos, hier bin ich Herr über Schwerkraft und
Planetenkonstellationen, weiß mich mit all den Sternen, die vergangen sind,
aber immer noch hell strahlen, verbunden. Ich habe nie zu den Schriftstellern
gehört, die, wie manche Männer bei Frauen unweigerlich den Mutterreflex,
bei Juroren und Förderern den Reflex auslösen, dem muss ich helfen, dem kann ich
helfen. Dafür war ich, und meine Schreiberei, wohl stets zu selbständig,
zu selbstbewusst und eigenwillig, und das wird so bleiben.
Der Preis für diesen
Seelenfrieden heißt: Ich scheiße auf Preise und Auszeichnungen (vgl. auch
"Gefördert und ausgezeichnet ins Abseits", Stipendien
und Veröffentlichung in einem sog. Publikumsverlag. Wenn die Damen und Herren
denn eines Tages auf die Idee kommen sollten, mit meinen Büchern könnten sie
Geld verdienen, und bei mir anklopfen, werde ich sie freundlich einlassen;
aber es wird teuer für sie werden. Wenn
nicht, auch gut: It’s only my life and I know what I do and I like what I do.
*
Die, übrigens sehr launige, Rede wurde vom Saarländischen Rundfunk
aufgezeichnet und ist in der Dokumentation "Randwort Faktor" (Hrsg.
Arbeitsgruppe Saarbrücker Literaturtage: Behringer, Klaus et al),
Saarbrücken 2001, nachzulesen.
Der Aufsatz ist
in "Kritische
Ausgabe" 2/01 veröffentlicht. |