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Diesen Aufsatz und 18 weitere, plus 7 Cartoons finden Sie hier:
Den Widerspruch zwischen Gelesenem und
Gelebtem mit Geschriebenem lösen (2001)

"Ich will nichts besitzen und auch nichts sein. Ich habe keine Ambitionen."
John Steinbeck 1934 in einem Brief an George Albee.
 

Living on the Border Line
Ein sublimer Jauchzer vom Limes
(Ein Aufsatz zum Thema "Literarische Provinz")


"Und insofern ist das Wasser auf die Mühle meines Lieblingsgedankens, dass Literatur eigentlich gar nicht zu sehr nach Erfolg streben sollte, sondern sich mit dem Entzug beschäftigen sollte. Es hat auch Vorteile. Man wird dann nicht mehr gestört durch Applaus oder Nobelpreise oder ähnlichen Unfug, der einen daran hindert, unerkannt über die Straße zu gehen."

Sagte Arnfrid Astel bei einer frei gehaltenen Rede während der Saarbrücker Literaturtage in Otzenhausen 1999.*

Herrschafts-, Geschäftsbereich bedeutet provincia eigentlich und Amt, Wirkungskreis. Natürlich speist sich das heutige Verständnis des Begriffs aus der Tatsache, dass die lateinischen Provinzen, wie die germanischen Rheinlande, fernab der römischen Metropole und damit fernab des kulturellen und geistigen Lebens lagen, fernab jeglichen politischen Einflusses. Ist also der Begriff „literarische Provinz“ eine Tautologie, ein schwarzer Rappe, da Literatur und ihre Schöpfer, wo auch immer angesiedelt, fernab jeglichen politischen Einflusses und ohne Herrschaftsbereich, fast immer ohne Wirkung(skreis) sind? Auch wenn es hie und da welche mit dem Amt „Stadtschreiber“ gibt. Und kann eine Literatur mit politischem Einfluss und in unmittelbarer Nähe zu den Herrschenden anderes sein als Propaganda?

Ohne Frage, schreiben kann nur, wer lebt, und wer schreibt, dessen Leben, dessen Lebensumstände werden Einfluss auf sein Schaffen haben. Und jeder, der schreibt und Verstand hat, wird wissen, dass die Entscheidung über die eigenen Lebensumstände eine ganz wichtige literarische Entscheidung ist: Sich selbst sein Leben vorschreiben! Werk und Leben sind immer ein Gesamtkunstwerk. Man mag darüber Zweifel hegen, ob die vielen, die ihr Leben der Kunst geopfert haben, ein fragmentarisches Frühwerk ablieferten und früh abtraten, das Zeug für ein Lebens-Werk über mehrere Jahrzehnte hinweg gehabt hätten. Was natürlich den Wert des hinterlassenen Werkes nicht schmälern soll.

Eine Feder kann ich mir schon mal stolz an meinen Hut, die Redskin-Baseball-Cap, heften, ich bin 51 Jahre alt und damit älter geworden als Kafka, deutlich älter, und mir geht es gesundheitlich immer noch verdammt gut, ich fühle mich prächtig und das Leben macht mir, trotz, oder gerade wegen der vielen Schwierigkeiten, eine Menge Spaß – in der Provinz, wo das Leben ruhiger und damit meist gesünder ist, jedenfalls für die, die sich dort wohlfühlen – und das tue ich.

Der Verlauf des Limes und diverse Limestürme in unmittelbarer Nähe sind mir seit frühester Jugend vertraut. Und an mindestens ein oder zwei Tagen in der Woche, auch im Winter, quere ich den alten Grenzverlauf des römischen Reiches mehrfach mit meinem Mountainbike. Und wenn ich dann abends auf meinem Balkon liege, eine Flasche Hachenburger Light neben mir, und den Blick über das offen vor mir liegende glitzernde Becken gleiten lasse, das Neuwieder Becken, weiß ich, dass ich diesen Augenblick und diesen Ausblick für nichts in der Welt eintauschen möchte. Fast nichts.

Natürlich kann ich mir vorstellen, dass mein Leben anders verlaufen wäre oder verlaufen wird. Die Vorstellung, in Manhattan zu leben oder in Berlin Mitte, hat ganz sicher ihren Reiz, fernab jeglichen Karrierekalküls. Noch vor ein paar Tagen war ich am Prenzlauer Berg bei einer Szenelesung, die sich im Übrigen nicht sehr von einer Lesung in der rheinland-pfälzischen Provinz unterschied, abgesehen davon, dass die (mir) unbekannte Autorin und Autor durch einen sauberen, unprätentiösen Vortragsstil bestachen, ihre Texte alles andere als großstädtisch waren, ihre Provenienz eher das Private.

Als ich ein paar Tage später wieder auf meinem Balkon lag, hoch über dem Rheintal, den Westerwald im Rücken, dachte ich mir, dass mir das doch besser gefällt als der nächtlich-verschlafene Blick aus einem Berliner Hinterhoffenster auf Flaschen werfende Punks und battle-dressed cops. Zugegeben, ich hatte vor allem Angst um mein Auto, das auf der Straße stand. Mein erstes eigenes Auto, das ich seit fast einem Jahr besitze. Und dann musste ich auch an meinen Roman von 1990 denken „Die Grenze, der Strom und das Drama“, der 1989 in West-Berlin spielt und in dem Szenen wie die eben beschriebene vorkommen. Berlin, Borneo, Bosnien sind, unter anderen (das Rheinland z.B.), die Schauplätze meiner Romane und Erzählungen, ohne dass ich überall persönlich gewesen bin. Wenn Lesen bildet, dann gilt: Schreiben, wenn man es ernst nimmt, tut es noch viel mehr. So wie ich mir die Maxime learning by doing um die Variante learning by teaching bereichert habe.

Realität und Fiktion, Leben und Werk, sie sind so grundsätzlich verschieden, wie sie einander bedingen. Und jeder weiß, dass es sich dabei um kein lineares, monokausales Verhältnis handelt. Die Verbindungen und Abhängigkeiten sind komplex. Geschrieben habe ich in diesem Jahr noch fast nichts. Ein halb fertiger Krimi ist da und wartet auf Vollendung. Ein Konzept für einen historischen Roman habe ich, erste Rechercheergebnisse liegen in der Schublade, bzw. auf der Festplatte; das Backup natürlich auf CD gebrannt.

Aber gelebt habe ich und mein Leben neu geordnet. In ein paar Wochen fange ich den ersten steady job meines Lebens an. Einen Zwei-Jahres-Vertrag über eine Dreiviertelstelle habe ich unterschrieben (Englisch in der IT-Ausbildung). Ich werde dann Montags, Dienstags und Mittwochs fremdbestimmt arbeiten. Ich freue mich darauf.

Vor allem bin ich glücklich darüber, einen Jahre langen, nervigen Kleinkrieg mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Berlin) und der Künstlersozialkasse (Wilhelmshaven) einigermaßen unbeschadet hinter mich gebracht zu haben. Provinz oder Metropole, die Sozialgesetzgebung ist für freiberufliche Schriftsteller und selbständige Dozenten nur mit einem Wort zu umschreiben: Scheiße (was kann ein Gesetz schon taugen, in dem ein Begriff wie "Negativeinkommen" vorkommt). Mehr dazu, und zu vielem anderem, was damit zu tun hat, kann man hier erfahren.

Ja, ich bin online! Seit drei Jahren, und mit kloy.de ist ein Paradigmenwechsel verbunden. Es gibt heute Tage, an denen über 600 Mal Seiten von meiner Website abgerufen werden. Meine Romane sind über die wichtigsten Online-Buchhändler zu bestellen und werden es auch. Ich habe angefangen, mit meiner Web-Präsenz Geld zu verdienen. Ein Beitrag über meinen Web-Auftritt in einem Fachbuch (Hrsg.: Müller-Grothe, Reydt, Schmid: eBusiness – Was es bringt und was es kostet, Luchterhand, Neuwied 2001) belegt dies. Wen also interessieren noch die engen Grenzen der Provinz, wenn man von überall Zugang zum global village hat? Wenn jeder von seinem PC aus mit ein wenig Phantasie und Wissen, das man sich aneignen kann, zum global player werden kann? Meine rein englischsprachige Website tabulitu.com ist mittlerweile auch im Netz. Und das Internet ist nicht nur eine Marktmöglichkeit, ich habe völlig neue Literaturformen und Präsentationsformen für mich entdeckt, die ich nicht mehr missen möchte, die ich im Gegenteil weiter ausbauen werde.

Wann habe ich mich das letzte Mal bei einem literarischen Wettbewerb beworben oder um ein Stipendium, wann das letzte Mal ein Manuskript an einen Verlag geschickt? Oh Gott ..., was soll das?! Mir geht es bestens, ich brauche das nicht. Ich lebe in meinem eigenen literarischen Kosmos, hier bin ich Herr über Schwerkraft und Planetenkonstellationen, weiß mich mit all den Sternen, die vergangen sind, aber immer noch hell strahlen, verbunden. Ich habe nie zu den Schriftstellern gehört, die, wie manche Männer bei Frauen unweigerlich den Mutterreflex, bei Juroren und Förderern den Reflex auslösen, dem muss ich helfen, dem kann ich helfen. Dafür war ich, und meine Schreiberei, wohl stets zu selbständig, zu selbstbewusst und eigenwillig, und das wird so bleiben.

Der Preis für diesen Seelenfrieden heißt: Ich scheiße auf Preise und Auszeichnungen (vgl. auch "Gefördert und ausgezeichnet ins Abseits", Stipendien und Veröffentlichung in einem sog. Publikumsverlag. Wenn die Damen und Herren denn eines Tages auf die Idee kommen sollten, mit meinen Büchern könnten sie Geld verdienen, und bei mir anklopfen, werde ich sie freundlich einlassen; aber es wird teuer für sie werden. Wenn nicht, auch gut: It’s only my life and I know what I do and I like what I do.

* Die, übrigens sehr launige, Rede wurde vom Saarländischen Rundfunk aufgezeichnet und ist in der Dokumentation "Randwort Faktor" (Hrsg. Arbeitsgruppe Saarbrücker Literaturtage: Behringer, Klaus et al), Saarbrücken 2001, nachzulesen.

Der Aufsatz ist in "Kritische Ausgabe" 2/01 veröffentlicht.

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