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Kommentar 10
Wie einmal
ein alter Mann von einem noch viel älteren zur Strecke gebracht wurde:
Reich-Ranicki
schickt Gottschalk in Rente (2008) |
Es war das
Duell zweier alter Männer, ja. Reich-Ranicki und Gottschalk, und eigentlich
verstehen sie sich. Sie verstehen sich gut. Deshalb hat Gottschalk spontan
entschieden, Reich-Ranicki ein Gespräch anzubieten.
Was ist
passiert? Reich-Ranicki hat anlässlich einer Fernseh-Gala, die ihn für sein
Lebenswerk auszeichnen wollte, für einen dezenten Eklat gesorgt, indem er die
Auszeichnung ablehnte, weil er sich in all dem Schwachsinn deplaziert fühlte.
Vieles ist gemutmaßt worden: Reich-Ranicki wisse genau seine
Publikumswirksamkeit einzusetzen, habe vorher wissen müssen, um was es da geht
usw. Er weiß seine Publikumswirksamkeit einzusetzen, aber ich bin mir absolut
sicher, er wusste nicht, was da alles vorgeführt werden sollte. Wenn ich nicht
zu faul wäre, meinen Receiver zu programmieren und mich deshalb gelegentlich
hoch und runter zappen muss (um vom 1. übers 2. zu einem 3. Programm oder arte
zu kommen), würde ich das, was ich da fragmentarisch zu sehen und hören
bekomme, auch nicht für möglich halten. Reich-Ranicki muss einen
unvorstellbaren Kulturschock erlebt und sich in einem anderen Universum gefühlt
haben, als im Saale die Gala mit den anderen ausgezeichneten
Fernseh-Highlights ihren Verlauf nahm.
Beide
Reaktionen, die Reich-Ranickis und Gottschalks, sind absolut ehrlich und ernst
gemeint. Gottschalks Reaktion zeigt, dass er im Grunde ähnlich denkt wie
Reich-Ranicki, sich das aber nicht eingestehen darf oder durfte. Seine Haltung
ist sehr treffend in Sloterdijks „Kritik der Zynischen Vernunft“ beschrieben: Mit dem richtigen Bewusstsein das falsche tun. Ich weiß ja,
dass es Schwachsinn ist, aber die Leute wollen das nun mal und ich verdiene gut
damit. Das ist zynisch.
Auch Elke
Heidenreich litt an ihrem zynischen Bewusstsein und war einfach nur glücklich,
auf diese Art und Weise, indem sie nämlich sich Reich-Ranickis Kritik zu eigen
machte, aus ihrem Dilemma herauszukommen.
Das Gleiche
gilt für Reich-Ranicki selbst, der mit dem Literarischen Quartett seinem
zynischen Bewusstsein nachgegeben hatte. Die Verweigerung war auch sein Eingeständnis,
ja, ich habe mit dem richtigen Bewusstsein das Falsche getan. Mit der
fadenscheinigen Entschuldigung, ein paar Menschen mehr zum Lesen zu bringen seien
solcherlei Verrenkungen wert, über die Mattscheide zu flimmern. Mir war das LQ
immer zuwider und ich kann mich nicht erinnern, mal ein Sendung komplett gesehen
zu haben.
Gottschalk ist
klug genug zu wissen, dass er sein Bewusstsein nicht länger wird verleugnen können.
Ich wage die Behauptung, dass er ziemlich bald Konsequenzen ziehen wird:
„Wetten, dass ...?“
Und das
Fernsehen? Macht es die Klugen klüger und die Dummen dümmer? Wahrscheinlich
ja. Aber dann langweilt es auch die Gelangweilten, und das wird letztlich dazu führen,
dass die unsäglich langweilige Suche nach hilflos Untalentierten und ähnliche
Formate, denen genau das fehlt: Format!, verschwinden werden. Gut so.
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