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Demagogie und Wahrheit (11.09.2010)

Diesen Aufsatz und 18 weitere, plus 7 Cartoons finden Sie hier:
Den Widerspruch zwischen Gelesenem und
Gelebtem mit Geschriebenem lösen

Es ist eine Dummheit zu glauben, Demagogen könne man daran erkennen, dass sie das Volk belügen. Man erkennt sie daran, wie sie mit der Wahrheit umgehen. Endlich sagt mal einer die Wahrheit, ist also nur die halbe Wahrheit.

Konkret: Sarrazins Buch mag auf seinen über 400 Seiten nur wahre Fakten auflisten, es ist dennoch reine Demagogie. Endlich sagt mal einer die Wahrheit, drückt das Gefühl ziemlich genau aus. Man ist erleichtert, dass es jemand sagt, weil man weiß oder spürt, dass es doch nicht die ganze Wahrheit ist und man selbst sie deshalb auch nicht ausgesprochen hat, zumindest so nicht. Das mehr oder weniger dumpfe Gefühl, das ja auch von irrationalen Motiven durchtränkt ist, erfährt so eine öffentliche und vermeintlich wissenschaftliche Aufwertung.

Das Problem mit Sarrazins wahrer Faktensammlung ist, dass er sich seine Wahrheiten aus sehr unterschiedlichen Quellen zusammensucht, um zu bestimmten Schlüssen kommen und Thesen aufstellen zu können. Diese Schlussfolgerungen und Thesen standen vorher fest und die Faktensuche war darauf fokussiert, sie möglichst drastisch beweisen zu können. Die klassisch dialektische Vorgehensweise wäre These, Antithese, Synthese. Es fehlt also die Antithese, es wird alles weggelassen, was nicht ins Bild passt. Das müsste jeder halbwegs gebildete Einheimische erkennen können.

Demagogie spricht Halbwahrheiten oder die Wahrheit aus, um eine These, die von Anfang an feststeht, zu untermauern. Als die Nazis vom Volk ohne Raum sprachen, wollten sie damit vorab eine Rechtfertigung, die vom Volk emotional mitgetragen wurde, für einen Krieg nach Außen, gegen die Nachbarn liefern. Wenn Sarrazin die Schlussfolgerung zieht, die Deutschen arbeiten und sterben aus, weil deren Geburtenrate zurückgeht, die überwiegend muslimischen Immigranten arbeiten nicht, integrieren sich nicht, vermehren sich aber hemmungslos, dann behauptet, schlussfolgert er, wird es bald ein Deutschland ohne Deutsche geben. Formuliert man diese Aussage um, kommt man zu der implizierten These: Deutscher Raum ohne deutsches Volk. War die These von Volk ohne Raum Rechtfertigung für einen Krieg nach Außen, dürfte die These vom Raum ohne Volk auf eine Rechtfertigung eines Krieges nach Innen hinauslaufen. Nicht mehr und nicht weniger. Zu Volk ohne Raum allerdings waren die wahren Fakten noch dünner gesät und das dumpfe Gefühl dagegen noch breiter (basierend auf der historischen Erfahrung z. B. des verlorenen Ersten Weltkrieges).

In einer der entnervend vielen Talkshows zum Thema meinte jemand, dass Sarrazin zu lange in Berlin gelebt habe und seine Ansichten zu sehr von den dortigen Verhältnissen geprägt seien.

Das Problem mit der Integration ist ein Wahrnehmungsproblem: Man sieht sie nicht, wenn sie funktioniert. Meine Eltern waren Kriegsflüchtlinge, stammen aus (heute) Polen und Russland. Ich bin mittlerweile Sechzig, meine Eltern sind tot, und wenn ich es keinem auf die Nase binde, wird niemand die Möglichkeit haben, meinen Migrationshintergrund zu erkennen. Wahrgenommen wird Integration da, wo sie augenfällig gelingt, bei Fußballern wie Cacau etc., aber eben vor allem da, wo sie misslingt.

Ich lebe in Koblenz, am Rhein, „Vom Rhein - noch dazu. Vom Rhein. Von der großen Völkermühle.“ So heißt es in „Des Teufels General“ von Carl Zuckmayer, und so geht es da weiter: „Von der Kelter Europas! (Ruhiger) Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor - seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant - das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt - und - und der der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald und - ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein - das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse.“

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