Künstler stehen gemeinhin nicht auf Konventionen und sie sollten ihre Arbeit nicht von der öffentlichen Anerkennung abhängig machen, sondern sich in erster Linie ihrer Kunst verpflichtet fühlen. So habe ich das immer gesehen und so sehe ich das auch heute noch, nach meinem 70. Geburtstag. Das ändert nichts daran, dass ich meine Bücher und anderen künstlerischen Aktivitäten für Menschen, nicht für Märkte, geschaffen habe. Das ändert nichts daran, dass ich mir und der Öffentlichkeit immer wieder darüber Rechenschaft abgelegt habe, wie ich mich als Künstler in der Auseinandersetzung zwischen meinen künstlerischen Ansprüchen und der gesellschaftlichen Wirklichkeit befunden habe.
Gesellschaftliche Wirklichkeit heißt heute oft mediale Präsenz. Und damit bin ich bei den Konventionen. Es ist durchaus üblich, auch Künstlern und vor allem ihrer Arbeit abseits des sog. Mainstreams zu besonderen Gelegenheiten Aufmerksamkeit zu schenken und womöglich so etwas wie Anerkennung zu zollen. Ein 70. Geburtstag wird gemeinhin als eine solche Gelegenheit angesehen. Und ich habe meinen 70. Geburtstag als eine solche Gelegenheit gesehen.
Nichts ist geschehen. Und ich erlaube mir, dieses Nichts zu benennen, ohne Vollständigkeit beanspruchen zu wollen; das Nichts ist bekanntermaßen ein universelles und abstraktes Konzept, aber hier ein paar konkrete Aspekte dieses Nichts: Der SWR in Mainz: Rundfunk und Fernsehen, die Politik in Mainz: Der Kultusminister oder der Staatssekretär, die Stadt Koblenz: Oberbürgermeister oder Kulturdezernentin, die Universitäten in Koblenz oder Mainz, die Rhein-Zeitung, die Stadtbibliothek oder die Rheinische Landesbibliothek in Koblenz, nicht zuletzt der VS in meiner Gewerkschaft, in der ich den Umwandlungsprozess von der IG Druck und Papier über die IG Medien zu ver.di in vielen Seminaren miterlebt habe. Alle diese Institutionen, so glaube ich, sollten nicht nur all dem hinterher laufen, dem alle hinterher laufen, berichten, worüber alle berichten, auszeichnen, was alle auszeichnen, sondern vielleicht einmal in die Werke schauen, die sich nicht in die bekannten Schubladen sortieren lassen.
Mit 70 Jahren kann ich zurückschauen und zumindest vorläufige Bilanz ziehen, nach über 40 Jahren künstlerischer Tätigkeit in dem Bewusstsein, mein Werk hat Substanz, Relevanz und Kohärenz. Ich kann das sagen, ich kann das bei allen Zweifeln von mir und meiner Arbeit behaupten, weil ich mich als Schriftsteller wissenschaftlich ausgebildet und kritisch zur Literatur geäußert habe, weil ich 20 Jahre lang Kreatives Schreiben unterrichtet habe, weil ich mich für die Literaturförderung eingesetzt habe, weil ich an vielen, auch internationalen Kongressen teilgenommen habe und dabei in ganz Deutschland herumgekommen bin. Nicht zuletzt, weil ich ein aufmerksamer Beobachter, intensiver Leser und weiterhin Forschender in Sachen Literatur bin.
Das zeigen nicht zuletzt meine drei Veröffentlichungen aus 2019 und diesem Jahr: „Ein Mythos wird vermessen: Rhein, Romantik und neue Raumerfahrung“, „Die selige Verzückung absehbarer Enttäuschung“ und „Göttern und Menschen zum Troz: Ein Roman mit zahlreichen freien Adaptionen und Modificirungen“. Insgesamt über 1000 Seiten zur Romantik in vielen Facetten von der Historie der Rheinromantik und Landvermessung über das Leben der Caroline Schlegel-Schelling zu der aktuellen Konstellation von romantischer Liebe vs. Speed-Dating.
„Göttern und Menschen zum Troz will ich glücklich seyn – also keiner Bitterkeit Raum geben, die mich quält, ich will nur meine Gewalt in ihr fühlen.“ Caroline Schlegel-Schelling in einem Brief.
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Klaus-Dieter Regenbrecht, Koblenz im Mai 2020
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