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Das Paradoxon der inhaltlichen Verarmung durch eine oberflächlich schillernde Vielfalt
Paradoxien und Paradigmen
Was hat sich verändert in der Medienlandschaft seit Mitte der Achtziger des letzten Jahrhunderts, als privatgeführte, also kommerzielle Medien als Konkurrenz des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks (ÖRR) auftraten? Die Veränderungen machen sich natürlich insbesondere hier, beim ÖRR, bemerkbar.
Gab es in den Achtzigern bis in die Neunziger noch eine überschaubare Anzahl von Programmen, die inhaltlich und thematisch breit aufgestellt waren, differenzierten sich die Programme zusehend und die Inhalte der exakt definierten Formate wurden auf ein bestimmtes Publikum zugeschnitten. Früher zogen die Journalisten ins Land, schauten sich um und brachten interessante Beiträge in den Sender; ein Platz für die Ausstrahlung fand sich dann auch.
Heute bekommen die Macher den Auftrag, einen genau definierten Beitrag zu erstellen, der in das exakt designte Format passt. (Viele der Formate nähern sich dabei nach Form und Inhalt dem Angebot der Privaten.) Erst dann geht man hinaus und produziert den Beitrag, holt man sich Promis oder obskure Gestalten ins Studio. Das ist ein gewaltiger Unterschied! War vorher die bunte Vielfalt der Wirklichkeit draußen im Lande der Ausgangspunkt, wird diese nur noch selektiv wahrgenommen unter der Prämisse der Format-Tauglichkeit. Dass einzelne Journalisten Beiträge mit Laiendarstellern produzierten, um das gewünschte Material liefern zu können, darf als Beleg betrachtet werden. Die Entschuldigung lief bezeichnenderweise darauf hinaus, dass nicht genügend Zeit oder Gelegenheit gewesen sei, echtes Material zu liefern, das dann aber genau so ausgesehen hätte.
Das eben führt zu dem Paradoxon, dass trotz der Explosion von Formaten, die oberflächlich bunte Vielfalt gaukeln, eine inhaltliche Verarmung stattfindet, weil die Wirklichkeit außerhalb des Studios nur noch selektiv erfasst wird. Die Sicht auf die Wirklichkeit wird durch Format-Vorgaben eingeschränkt.
Die einschränkende Verwendung des lateinischen Terminus für Vielfalt, Diversität, könnte Teil dieser Entwicklung sein: die Verengung der Wirklichkeitswahrnehmung, die Fokussierung bei der Realitätsperception: perception is reality. Wenn wir alles unter sexuellen Aspekten wahrnehmen, man kann auch gerne das G-Wort verwenden, ist alles Sexualität. Die jüngste Entwicklung der Künstlichen Intelligenz zeigt in aller drastischen Deutlichkeit, wie leicht unsere Wahrnehmung zu täuschen ist. Daher stellt sich die Frage nach unserer Wirklichkeit als neue Herausforderung dar. Stritt man früher über die Wahrheit, geht der Streit heute zunehmend darum, was wirklich ist. Stichwort: Fake news.
Klaus-Dieter Regenbrecht © by kloy 2025
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