Das
Camp - Acht neue Erzählungen:
Belt Guard
(Auszug: Der Anfang)
Ein
unsichtbarer Feind ist's, den ich fürchte,
Der in der Menschen Brust mir widersteht,
Durch feige Furcht allein mir fürchterlich -
Nicht, was lebendig kraftvoll sich verkündigt,
Ist das gefährlich Furchtbare.
Das ganz Gemeine
ist's, das ewig Gestrige,
Was immer war, und immer wiederkehrt
Und morgen gilt, weil's heute hat gegolten!
Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht,
Und die Gewohnheit nennt er seine Amme.
(Friedrich Schiller, Wallensteins Tod)
Matt Raff
zog sich an, es war früher Morgen, die Sonne stieg gerade am wolkenlosen
Himmel auf, das erkannte er an dem unscharfen und aus seinem Blickfeld
reichenden Schatten der Eiche, die er vom Badezimmerfenster aus sehen
konnte. Alle Gärten der Häuser im Gürtel hatten viel Grün um sich
herum, Bäume, Büsche, Rasenflächen, Blumenbeete, kleine Nutzgärten und
Feuchtbiotope mit idyllischen Teichen.
Er liebte
seine Morgenroutine. Morgens alleine aufzustehen, seiner Frau Jane einen
Kuss in den oft mit leichtem Schweiß benetzten Nacken zu hauchen, ins Bad
zu gehen, dort mit der immer gleichen Temperatur zu duschen, sich zu
rasieren, die Zähne zu desinfizieren und zu imprägnieren. Auf seinem Weg
zur Küche warf er einen Blick auf sein CoPa, das Communication-Panel,
seines Terminals, um zu sehen, ob es spezielle Direktiven für den Tag
gab. Er liebte diese Routine und er liebte das Leben im Gürtel. Auch sein
CoPa schien Routine zu lieben, es meldete keine besonderen Vorkommnisse;
sein Dienst begann in einer Stunde.
Und wenn
es etwas gab, das ihn glücklich machte, wirklich glücklich machte, waren
es die Dienststunden in seiner Gondel, der Blick aus seiner Gondel. Crane,
seine Gondel, war über dem Flusstal, das genau an dieser Stelle von steil
aufragenden Felsen zu einem schmalen und reißenden Strom verwandelt
wurde. Sowohl nach Norden wie nach Süden hatte der Fluss ein breites
Talbett, in dem er meist träge und glatt in der Sonne lag. Matt hatte
einen wunderbaren Blick auf den Fluss und die Felsen und die sich rund
herum ausbreitende Mittelgebirgslandschaft, über die sich, soweit er das
auf seinen Monitoren überblickte, der Gürtel ausbreitete.
Um den
eigentlichen Gürtel spannte sich ein zweiter Gürtel, der
Landwirtschaftsgürtel, und dahinter ein schmalerer Industriegürtel
(Industrie und Produktion, IP) und dahinter, wo genügend Platz vorhanden
war, wo sich also die Gürtel nicht schon berührten, gab es Urwaldinseln.
Lange, lange, hieß es, hatte es gedauert, eine so perfekte Gestaltung zu
schaffen, die ein Leben im Einklang mit der Natur ermöglichte. Und es war
schön hier draußen im Gürtel.
Hier, wo
er mit seiner Frau lebte, waren alle Gürtel in ihrer optimalen Ausprägung
vorhanden; er wusste jedoch von weiten Gegenden, in denen es nur ein
riesiges Inneres gab, das nur einen schmalen Gürtelstreifen zuließ, der
zwischen zwei Inneren lag. Matt wusste davon nur wenig. Reisen außerhalb
des eigenen Gürtels waren so gut wie nicht möglich. Er selbst hatte
seinen Gürtel nie verlassen. Wozu auch? Sein Gürtel gehörte zu einem
der schönsten und romantischsten im ganzen Land. Das sagte jeder, der
hier lebte.
Matt ging
in die Küche und kochte sich einen Kaffee. Allein das war früher ein
Problem gewesen, weil es am Anfang des Gürtels logistische Probleme
gegeben hatte, viele Verkehrsverbindungen waren unterbrochen, und schließlich
gab es Länder auf der Welt, die nicht in Gürtel eingeteilt waren, aber
seit es international nur noch streng kontrollierten Verkehr gab, durfte
niemand mehr auf eigene Faust reisen. Aber früher soll ja auch das Wetter
anders gewesen sein. All das jedoch war nie ein Problem für ihn, gab es
keinen frischen Kaffee, brühte er sich seine Tasse eben mit Instantkaffee
auf, gab es keinen Instantkaffee, nahm er Tee. Nein, Matt war glücklich
und zufrieden mit seinem Leben hier im Gürtel und er war stolz darauf,
Officer der Belt Guard zu sein.
Bevor er
das Haus verließ, ging er kurz noch einmal ins Schlafzimmer hinauf, um
sich von Jane zu verabschieden. Ihre Schicht fing erst in zwei Stunden an,
so dass sie zwei Stunden, nachdem er von seiner Schicht zurück gekommen
war, wieder ins Haus kam. So verbrachten sie jeden Tag achtzehn Stunden
gemeinsam im Haus, im Garten, im Schlafzimmer oder in der Nachbarschaft.
Sie küssten sich und wünschten sich einen guten Tag.
Matt trat
vor die Haustür und das Shuttle mit den anderen Offizieren der Belt Guard
stoppte; Matt stieg ein und setzte sich auf seinen Platz. In zwei Stunden
würde auch Jane in ihr Shuttle steigen und in den IP gebracht werden, wo
sie in einer Fabrik arbeitete. Nach Matt stiegen noch drei weitere
Offiziere ein, dann erreichten sie auch schon die erste Gondel und das
Shuttle fing an, sich wieder zu leeren.
Matt
Raff stieg zur Crane auf und war in einer anderen Welt. Er hing hier oben
zwischen dem Gürtel und dem Kern, über dem Fluss in einer unglaublich
blauen Luft. Der Kern nach Süden zu, das Innere, das Konzentrum, es gab
so viele Namen für das, was niemand kannte, für das Gebiet, das niemand
betreten durfte. Es gab so viele Namen für das, was eigentlich nicht war,
keine Gestalt hatte, nichts bedeutete.
Und hier eine akustische Leseprobe:
© 2018 Klaus-Dieter Regenbrecht |