Die beiden weiblichen Hauptpersonen sind Helga und Gudrun. Sie leben zusammen in West-Berlin; die eine ist Taxifahrerin und die andere, Helga, arbeitet im Theater in der Requisite, hat aber ein Theaterstück geschrieben. Und zwar über die Zeit und Umstände, unter denen beide sich kennen gelernt haben: Bei Straßenkämpfen und in der Hausbesetzerszene.
Die drei Teile des Romans entsprechen drei Zeitstufen: Grenze = Sommer 89, Helga erfährt, dass ihr Stück aufgeführt werden soll. Erste Ereignisse in Ungarn (deutsche Botschaft usw.). Strom = Herbst (November) 89, Proben laufen. Die Mauer fällt. Drama = März 90, Uraufführung des Stückes, erste freie Wahlen in der DDR.
Der Konflikt liegt darin, dass Gudrun die Verarbeitung ihrer Erlebnisse und deren Zurschaustellung im Theater als Verrat durch ihre Freundin empfindet und sie deshalb während des Schlussapplauses von der Beleuchtungsgalerie her auf der Bühne erschießen will. Der Schuss geht daneben und im Trubel unter, weil Helga diesen Schluss antizipiert und auf der Bühne inszeniert und damit die Realisierung verhindert. Dahinter steckt zum einen das Problem »Wem gehört die Geschichte« auf der persönlichen Basis der beiden Freundinnen als auch auf der politischen (DDR, Widerstand), zum anderen geht es um Realität und Inszenierung, Wirklichkeit und Wahrheit. Außer den beiden Protagonistinnen tauchen zwei Westdeutsche aus Köln auf, lernen die beiden im Sommer kennen, sind im November in Berlin und werden auch zur Uraufführung eingeladen.
Der Roman ist erklärtermaßen und in jeder Hinsicht postmodern, so sind z. B. eine ganze Reihe von Szenen Paraphrasierungen aus der Sendereihe „100 Meisterwerke“, die damals sehr erfolgreich in der ARD lief. Das Romangeschehen ist keine platte Abbildung einer wie auch immer gearteten Realität, sondern Darstellung des prallen Lebens, das sich in phantasievollen Sprachbildern manifestiert. Dennoch ist der Roman auch ein konventionell lesbarer Roman, denn alle Personen (mit Namen und Biographie) sind eindeutig in Raum und Zeit erkennbar.
„Wir als Angehörige einer sich zusammenfindenden Kulturnation dürfen uns dabei einer Technik bedienen, die nicht abbildet und damit im Moment der Reproduktion schon Lüge produziert, weil sie Totes als Lebendiges vorführt, sondern einer Technik, die bildet, weil sie lebendig ist,“ heißt es am Ende des Romans.
Den Tagebuchnotizen kann man entnehmen, wie sich der Roman entwickelt, wie die Ereignisse der Wiedervereinigung aus der Distanz wahrgenommen und wie sie in die Fiktion eingebaut werden. Interessant sicher auch, dass eben diese Notizen fast während des gesamten Schreibvorgangs als Teil des Romanstoffes angesehen und erst kurz vor der Veröffentlichung herausgenommen wurden. Nach zwanzig Jahren vervollständigen sie nun den Roman zusammen mit der Zeittafel zu einem lebendigen Bild einer sehr bewegten und bewegenden Geschichte.
Fast genau zwanzig Jahre, nachdem der Roman zum ersten Male aufgelegt wurde (500 nummerierte und am 3. Oktober 1990 handsignierte Exemplare), gibt es die Neuauflage, die um Tagebuchnotizen des Autors aus dem Zeitraum Juli 1989 bis Oktober 1990 und eine Zeittafel der Wiedervereinigung ergänzt wird.
Vor zwanzig Jahren begann die Arbeit an dem Roman »Die Grenze, der Strom und das Drama«, der in der Taxifahrer-, Theater- und Hausbesetzerszene spielt und mit einem novellenartigen Schuss von der Kanzel (hier: Schuss aus der Beleuchtungsgalerie des Theaters) endet. Handlungsort: Westberlin zur damaligen Jetztzeit, also 1989.
Als dann die Ereignisse, die zur Wiedervereinigung führten, ihren Lauf nahmen, entschied sich der Autor, die Ereignisse nicht zu ignorieren, sondern in das Romangeschehen einzubauen. Liest man den Roman heute auch nur auszugsweise, wird man dem Text vieles entnehmen und abnehmen, sein Alter jedoch wohl kaum. Er wirkt nach wie vor frisch und frech. Das mag auch an der Struktur liegen, die sich an Video-Clips orientiert und für jedes Kapitel einen eigenen Ton findet und ein eigenes Setting schafft. Diese Live-Mitschrift ist ein ganz ungewöhnliches Dokument, das aus der Flut der Veröffentlichungen zum Thema nach wie vor herausragt.
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Stimmen zur Erstauflage:
Dieses Buch ist ein pulsierender Schmelztiegel: eine spannende Story, sex and crime, Reflektion, Literaturtheorie, Zeitaktualität, die Welt des Theaters, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein ungemein lebendiges Buch, das Beste, was wir bisher von Regenbrecht kennen."
(Schreibkraft Koblenz 10/1990)
"Auch wenn es erst Probleme bereitet, die Klammer für diese klaffende Wunde namens Roman zu finden, am Ende muss man sich damit zufrieden geben, dass dieser blutende Riss niemals vernarbt."
(Rhein-Zeitung, Koblenz 13./14.10.1990)
"Keine leichte Kost für den Leser, doch fasziniert der Schriftsteller durch jandlsche Sprachkaskaden und eine manchmal an Thomas Bernhard erinnernde bärbeißige Ironie. Reizvoll auch seine Dialoge mit den eigenen Figuren und dem Leser. Eine erfrischend originelle und individuelle Neuerscheinung."
(S3-TV Kulturkalender 25.1.1991)
"... dieser flackernde Text aus Realitätspartikeln, Zitaten und kurzen Geschehenssträngen hat für mich einen starken und sehr aktuellen Reiz, ich verstehe, dass dies eine authentisch zeitgenössische Wahrnehmung und Spiegelung der Welt ist."
(Dieter Wellershoff, Köln 1991)
© 2018 Klaus-Dieter Regenbrecht
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mit freundlicher Genehmigung der Ampelmann GmbH Berlin
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