Rosmarie besorgte sich einen
CD-Walkman, legte die Scheibe auf und lief mit Kopfhörern durch die Gegend. Es
geschah etwas mit ihr. Sie fing an zu hören und zu sehen, es war ihr, als käme
sie von einem Trip herunter, einem Trip, der sie mindestens zehn Jahre umnebelt
hatte. Sie lebte, sie fing wieder an zu leben und sie sah Licht, sie sah einen
Weg vor sich, sie war voller Sehnsucht.
No regrets, Coyote, we just come
from such different sets of circumstance, es gibt nichts zu bereuen, Coyote, wir
kommen einfach nur aus verschiedenen Verhältnissen. Nein, zu bereuen gab es
nichts, was gewesen war, war vorbei, und es gab einen neuen set of
circumstance.
Zurück in ihrem Hotelzimmer,
studierte sie die Karte und suchte sich eine Route für ihren Nachmittagsausflug
aus. Sie legte sich aufs Bett, blätterte in den Zeitschriften, hörte Joni
Mitchell, die auf Hejira von 1976 gar nicht mehr nach Folk klang, sondern eher
jazzig und wie von heute, obwohl die Aufnahmen ja auch schon fast zwanzig Jahre
alt waren. Das Cover zeigte Joni Mitchell vor überbelichteter Landschaft mit
einer Andeutung von Bäumen.
Joni, eine selbstbewusste Frau,
eine schöne Frau mit Baskenmütze und wehenden, blonden Haaren, vollem Mund mit
betonter Unterlippe, feinem Näschen und festem Blick, Zigarette in der rechten
Hand, die linke in der Tasche eines Mantels oder Umhangs. In den dunklen Umhang
war ein Bild eingeblendet. Da, wo ihr Leib war, sah man die weißen
Mittelstreifen einer Landstraße, die sich in einer flachen, endlosen Landschaft
in einem Horizont mit weißen Wolken verlor, blütenweiße, sich himmelhoch
auftürmende Kumuli, knapp unter ihrer Brust: A prisoner of the white lines on
the freeway, eine Gefangene der weißen Linien auf der Autobahn. Die weiße Linie
zielte genau auf Jonis Herz.
Auch das Gesicht war leicht
überbelichtet. Wenn man den Blick unscharf stellte, erkannte man die dunklen
Punkte der Pupillen, Andeutungen von Augenbrauen, kaum Wimpern, zwei dunkle
Nasenlöcher, den Mund und die Schatten unter zwei prägnanten Wangenknochen. Bei
auf weit gezoomtem Blick wirkte Jonis Gesicht maskenhaft, eine weiße
Glanzlackmaske, dachte Rosmarie sich die vollen Lippen weg, traf es sie ins
Herz, weil sie ihren Schädel fleischlos sah, unbarmherzig.