Zwei turning points in meinem Leben, wo Persönliches und Privates mit Äußerem, Wissenschaft und Welt zusammentrafen und Verbindungen herstellten, die mein Leben nachhaltig beeinflussten. 1973, ich hatte in Tübingen angefangen zu studieren, brachten die Beach Boys ihr „Holland“ Album heraus. Auf diesem Album gibt es die „California-Saga“, in der ein Gedicht von Robinson Jeffers rezitiert wird: „The Beaks of Eagles“. Ich ging in die anglistische Fachbereichsbibliothek und suchte nach Robinson Jeffers und fand einen hochinteressanten Lyriker. Das, was vorher rein privat war, meine Verehrung und Liebe zur Musik der Beach Boys, wurde an die Welt der Literatur und der Literaturwissenschaft angeknüpft, die bis dahin nur Studium waren; sie wurden nun Teil meines persönlichen Lebens.
Anfang der 2000er Jahre. Auf einer meiner Mountain-Bike-Touren im Westerwald entdeckte ich eine Informationstafel zu den beiden Landvermessern Tranchot und von Müffling, die die Rheinlande vermessen haben. Auf der dort abgebildeten Karte fand ich die Gemarkungsbezeichnung „Auf dem Hannarsch“. Das ist ein Areal unmittelbar neben meinem Elternhaus, ein Areal, das schon uns Kindern geläufig war. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass ein Begriff, „Auf dem Hannarsch“, von dem ich glaubte, dass er nicht einmal allen Bewohnern meines Heimatortes bekannt war, in einer 200 Jahre alten Karte zu finden sei. Da ich auch Geographie studiert und ein Faible für Karten habe, begann ich über die beiden Landvermesser zu recherchieren und landete in der Geschichte des Rheinlandes zur Jahrhundertwende des 18. auf das 19. Jahrhundert. Und damit auch in der Entstehungszeit der Romantik, speziell der Rheinromantik.
1973 wurden die Literatur und die Literaturwissenschaft Teil meines persönlichen Lebens, meiner Erfahrung und meines Empfindens, wie Anfang der 2000er Jahre die Romantik. Wichtig dabei, dass mein höchst persönlicher literarischer Impetus von Anbeginn die Anlehnung an die Literatur- und Sprachwissenschaft hatte, dass letztlich alle meine Arbeiten Metaliteratur sind, sich also mehr oder weniger offensichtlich mit fremder Literatur auseinandersetzen, in meinem literarischen Kosmos mit Literatur und Sprachwissenschaft korrespondieren. Das kann man schon an den Titeln ablesen: „Den Widerspruch zwischen Gelesenem und Gelebtem mit Geschriebenem lösen“ (2016, Aufsätze, Rezensionen, digitale Grafiken u. a.).
„Völlig aus dem Rahmen fielen die Texte von Klaus-Dieter Regenbrecht“, das schrieb die Rhein-Zeitung 1983, nach einer meiner ersten öffentlichen Lesungen. Und das ist so geblieben. Ich habe mir Zeit gelassen, zehn Jahre, bevor ich an die Öffentlichkeit gegangen bin. Und noch einmal 15 Jahre, um herauszufinden, wo meine literarischen Themen und Motive liegen könnten: „Tabu Litu – ein documentum fragmentum in neun Büchern“, das von 1985 bis 1999 herauskam, in meinem eigenen Verlag. Es waren nicht nur neun Bücher, sondern neun sehr unterschiedliche Bücher, die dennoch einen Zusammenhang herstellen. Und auch das ist nach 2000 so geblieben, ich schreibe weiterhin Bücher, die sehr unterschiedlich sind und oft in sich Elemente vereinigen, die man üblicherweise gerne sauber getrennt hat, nicht zuletzt aus verkaufstechnischen Überlegungen. Als Beispiel sei mein Seuchenjournal genannt, „Die Definition von Wahnsinn“ (2021), das Kommentare zur Corona-Pandemie mit Gedichten, Buchbesprechungen, Grafiken, Science-Fiction-Storys, Zitaten und vielem anderen zusammenbringt. Das ist kaum in einer Buchhandlung sauber einzusortieren.
Diese große Vielfalt ist der Grund, warum ich meine Bücher immer noch selbst verlege (Warum sollte ich meine Bücher einem anderen Verlag abkaufen? Eigenbeteiligung der Autoren - die große Heuchelei). Ich hätte die unterschiedlichen Bücher in verschiedenen Verlagen herausbringen müssen, einzelne Titel, die mit genre-ignorierender Diversität glänzen, hätten gar keinen Verlag gefunden. Ich habe von Anfang an meine Bücher nicht nur geschrieben, sondern auch gemacht, das heißt selbst gestaltet und teilweise produziert. Bei dem Drucker meiner Wahl und meiner Generation durfte ich kostensparend Hand anlegen bei den Druckbögen, beim Kleben; bei der abschließenden Schneide-Fete ging es feucht zu und hoch her. Für Tabu Litu Buch 3, „text & grafik“ (1987) habe wir uns gemeinsam ein besonderes Druckverfahren ausgedacht: irisierend, i. e. mehrere Farben auf der Druckwalze verteilt, auf chamoisfarbenem Papier.
Die neun Bücher von Tabu Litu dokumentieren auch die rasante technische Entwicklung: vom Schreibmaschinensatz bei Buch 1 „Gedichte“ (1985) über Titel, die mit einer Olivetti mit Typenrad und kleinem Speicher erstellt wurden bis zum Einsatz der ersten Computer und des Internets. Denn seit 1998 pflege ich auch meine Website kloy.de. Mit dem Unfalltod meines Druckers noch bevor die Druckbögen zusammengelegt und gebunden waren, ging auch die Ära des Offset-Drucks für mich zu Ende. Wie man sehen kann, sind Unfälle und Krisen Begleiter meines literarischen Werdegangs.
Das neue Print-on-Demand Verfahren ermöglichte mir nach der Jahrtausendwende die kostengünstige Produktion von Büchern auch in kleiner und kleinster Auflage. Das Verfahren hat sich im Laufe der Jahre so weit verbessert, dass selbst Hardcover-Titel mit über 600 Seiten und farbigen Abbildungen („Romantische Liebe – So reich an Freud ihr Schatten“ 2023, und „Zacharias Werner: Von Gier zur Reu“ 2024) kein Problem mehr darstellen. Bei den wissenschaftlichen Titeln drittelt sich der Arbeitsaufwand in Recherche, Schreiben und Setzen, Layouten. Ungebrochen meine Technik- und Medien-Affinität, so arbeite ich schon lange mit professionellen Satzprogrammen und mit ChatGPT, sobald eine Beta-Version verfügbar war: „Die Kollaborations-Chroniken“ (2024), und bin in den Social Media unterwegs, nicht ohne kritische Distanz allerdings.
All das hat den unschätzbaren Vorteil, dass ich selbst bestimme, wie das Seitenlayout aussieht, welche Schrift ich nehme usw. Vom ersten Satz an habe ich genau das vor Augen, was auch der Leser später im gedruckten Buch sieht. Immer wieder habe ich darüber reflektiert, was ich mache, wie ich es mache und für wen ich es mache. Das spiegelt sich auch in den autobiografischen Titeln: „Im Goldpfad 10 – Ein Schlüsselroman“ (2014), „Paradise with Black Spots and Bruises – Stories, Pictures and Thoughts of a Lifetime“ (2019, in englischer Sprache) und „Bilderbuch eines Unikums: Autobio-Grafischer Katalog“ (2023).
Über 30 Bücher sind so in den letzten 40 Jahren im Tabu Litu Verlag erschienen und es wird weitergehen im nächsten Jahr. Womit, wird noch nicht verraten.
Klaus-Dieter Regenbrecht, Koblenz im November 2024.