"Die Wahl der Perspektive(n), aus der oder denen die Geschichte erzählt wird, dürfte
wohl überhaupt die wichtigste Entscheidung sein, welche ein
Schriftsteller zu treffen hat, denn sie wirkt sich grundlegend auf die
Art und Weise aus, wie die Leser gefühlsmäßig und moralisch auf die
fiktionalen Figuren und deren Handlungen reagieren werden."
"Eines der häufigsten
Anzeichen eines faulen oder unerfahrenen Prosaschriftstellers ist der
konsequente Umgang mit der Perspektive. (Anm. KDR, da MUSS es sich um einen Übersetzungs- oder Druckfehler
handeln und 'inkonsequent' heißen, das macht der gesamte Aufsatz
deutlich, denn:) (...) und plötzlich, nur für ein paar Sätze,
erfahren wir, was seine Mutter über das Ereignis denkt, (...) danach
geht die Erzählung wieder aus Johns Perspektive weiter."
"Selbstverständlich gibt
es keine Vorschrift oder Regelung, die besagt, daß ein Roman die
Perspektive nicht wechseln dürfe, wann immer der Schriftsteller es
will; aber wenn es nicht aufgrund eines ästhetischen Planes oder
Prinzips erfolgt, wird die Beteiligung des Lesers (...) gestört."
Aus: David Lodge, Die Kunst des Erzählens, Zürich 1993, Seite 44 ff.
Im Roman "Der
Steinesammler" von Norbert Scheuer (Frankfurt/M 1999) wird auf den
ersten 40 Seiten, weiter habe ich nicht gelesen und werde ich nicht
lesen, mehrfach, auch innerhalb der recht kurzen Kapitel, die
Perspektive gewechselt; er erzählt auktorial. Trotz ständiger
Perspektivwechsel bleibt der Blick der selbe. Das ist weder den
wohlwollenden Rezensenten des bundesdeutschen Feuilletons noch den
Juroren des Koblenzer Literaturpreises aufgefallen. Der Ton bleibt sich
ebenso gleich, was heute gern mit einem eigenen Stil verwechselt
wird. Ich halte ihn, den Ton, da die auktoriale Erzählhaltung mit
wechselnden Perspektiven vermischt wird und ein Intellektueller, der
Blicker, so tut,
als wolle er den Deppen seine Stimme leihen, für einen
denunziatorischen: So sind die in der Eifel! (So sind sie zwar nicht,
aber man kann sie so sehen und vorführen). Was denen in den großen
Städten (Hamburg, München ...) und in den nicht ganz so großen
(Koblenz) bestens in den Kram passt.
Dass "Der Steinesammler"
tolle Passagen hat (wenn der Autor Braden für sich alleine hat und ihm
keine anderen Figuren in die Quere kommen) und Literatur ist, darüber muss man nicht streiten, aber Literatur über
das Dilemma einer bestimmten Intelligenzia - und darüber liest diese
bekanntlich am liebsten, weil es ganz offensichtlich erhebend für sie
ist, "authentisch" an den noch beschisseneren
Lebensbedingungen von ein paar Menschen irgend wo in einer fernen Eifel
(und die kann in New York City sein) teilzuhaben.
Der ständige Perspektivwechsel
bei Scheuer, von Hause aus Lyriker, ist wahrscheinlich darauf
zurückzuführen, dass er nicht anders kann, als aus der Position des
lyrischen Ichs zu schreiben, obwohl er sich wahrscheinlich gerade durch
den Perspektivwechsel erhoffte, vom lyrischen Ich weg und hin zu einer
erzählerischen Form zu finden. Die Tatsache, dass an diesem
Roman die Sprache gelobt wird, die unverbrauchten Metaphern, verweist deshalb auf ein grundsätzliches Übel
in der deutschen Gegenwartsliteratur, bzw. ihrer Rezeption. Romane,
Erzählungen werden durchgängig nach den Kriterien Sprache, Metaphern
beurteilt.
Wenn sich ein Autor um einen interessanten Plot und sauberes
Erzählhandwerk kümmert, aktuelle Motive und Themen in einer heutigen
Sprache verarbeitet, läuft er Gefahr, als trivial beiseite
geschoben zu werden. Kein Wunder, dass der deutsche Gegenwartsroman in
der Welt nichts mehr gilt. Mit dem Propagieren und Protegieren der
Metaphern/Sprache-Romane und der Vernachlässigung des erzählerischen
Handwerks überlässt man kampflos das Feld des Gegenwartsromans den
viel gescholtenen Anglo-Amerikanern, bei denen ein Roman ein Roman ist und
kein aufgeblähter lyrischer Erguss.
Pikante Marginalie: Für die
Auszeichnung dieses handwerklich mangelhaften Produktes zeichnet die Handwerkskammer Koblenz über den Freundeskreis
der Universität mitverantwortlich. Die anderen sind:
Germanistisches Seminar der Uni Koblenz, Theater der Stadt Koblenz,
dessen Freundeskreis, Volksbank Mittelrhein (Hauptsponsor). |