Mitten in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts machten viele ihr
eigenes Ding. Die Nach-68er, die Flower-Power-Anhänger der 70er fingen
an, sich in ihrem Leben als alternative Erwachsene und nicht mehr als
rebellierende Jugendliche einzurichten.
Viele der Initiativen von damals sind Historie und vergessen, einiges
hat überlebt und sich etabliert. Als ich, KD Regenbrecht, 1985 meinen
Tabu Litu Verlag als Gewerbe anmeldete, war das also nichts besonderes.
Aber warum tat ich es? Ich versuche, das in einem Frage- und
Antwortspiel zu erläutern.
Also,
warum Tabu Litu?
Nachdem
ich ein paar Jahre lang vergeblich versucht hatte, meine Manuskripte bei
Verlagen unterzubringen und die übervolle Schublade mich daran
hinderte, neue literarische Projekte anzufangen, musste ich etwas
unternehmen. Selbstverlag an sich ist nichts Neues, aber ich wollte
dennoch etwas anderes. Und so kam ich auf die Idee zu „Tabu Litu –
ein documentum fragmentum in neun Büchern“ (TL). Also, nicht nur
Selbstverlag, sondern ein literarisches Großprojekt. Die neun Bücher
waren größtenteils schon als Manuskripte vorhanden und ich wollte sie
als ein großes, zusammenhängendes Projekt veröffentlichen.
Mit
welcher Perspektive wurde das Projekt gestartet?
Zunächst
ging es darum, alte Manuskripte aus dem Weg zu schaffen. Weil es keinen
Rahmen gab, in den meine Bücher passten, war für mich die logische
Schlussfolgerung, selbst einen Verlagsrahmen für meine Bücher zu
schaffen. Da TL ja auf neun Bücher angelegt war, hoffte ich, danach so
weit zu sein, eine Karriere als Autor auf die übliche Art und Weise in
Verlagen starten zu können.
Ist
das passiert?
Nein.
Es hat sich vieles völlig anders entwickelt, sowohl im Projekt TL als
auch in der Verlags- und Medienlandschaft. Wer weiß noch, dass es bis
1984 in Deutschland kein Privatfernsehen mit all seinen Unsäglichkeiten
gab; die Konterrevolution gegen den Geist begann damals auch.
Was
hat sich im Projekt TL verändert?
Im
ersten Buch TL, den Gedichten, ging ich noch davon aus, dass im
Wesentlichen vorhandene Manuskripte oder angefangene Projekte veröffentlicht
werden. Aber schon Buch 2 war der Krimi „Antikörper“, der
eigentlich als Buch 5 erscheinen sollte. Und danach hatte ich nicht nur
die Reihenfolge verändert, sondern mit Buch 5 „Die Grenze, der Strom
und das Drama“ das vorhandene Manuskriptmaterial abgearbeitet, so dass
ab Buch 6 „Stellas Promotion“ nur noch völlig neue Texte
geschrieben und veröffentlicht wurden. Das hatte außerdem zur Folge,
dass das Projekt nicht schon 1990 mit Buch 5 abgeschlossen wurde,
sondern erst 1999 mit dem Roman „Die Rheinland-Papiere“.
Was
war das für ein Gefühl, nach 15 Jahren ein solches Projekt abzuschließen?
Ich
kann mich gar nicht mehr so genau erinnern. Ich war ja nicht nur mit
meinem Projekt TL beschäftigt, sondern lebte auch, heiratete, wurde
Vater, musste Geld verdienen. Aber es war merkwürdig. Der Drucker, der
alle meine Bücher gedruckt hatte, einer aus meiner Generation, der als
Drucker sein eigenes Ding gemacht hatte, bei dem ich meine Bücher
selbst zusammenklebte und bei Schneidefeten in wilden Vernissagen präsentierte,
fuhr sich mit dem Motorrad tot, kaum war der letzte Druckbogen fertig.
Die letzten drei Ziffern der ISBN, die ja lange vorher festgelegt waren,
sind das Datum seines Todestages.
Mystisch.
Welche Bedeutung hat so etwas? Das eine Ende und das andere. Ein
Anfang?
Zufälle
sind Ereignisse, deren inneren Zusammenhang wir nicht erkennen. Ich
selbst fing an, mir Gedanken zu machen, was passieren könnte, wenn TL
vollendet war. Mein eigener Tod zu dem Zeitpunkt schien mir durchaus ein Ende zu
sein, das eine gewisse Logik, einen dramaturgischen Charme gehabt hätte.
Aber ich lebte weiter und hatte keine Vorstellung, wie es weitergehen
sollte, was ich schreiben könnte.
Krise?
Der Gedanke aufzuhören? Nichts mehr schreiben zu können, keinen
Erfolg, keine Anerkennung zu haben?
Immer
wieder. Es gab auch ganze Jahre, in denen ich nicht einmal ein Buch
gelesen hätte. Das ist normal. Was dennoch jedes Mal spannend und neu
ist, weil man ja nicht weiß, ob man wieder auf die Beine kommt. Denn irgendwann ist ja nun einmal endgültig Ende.
Keine
Angst davor?
Nein,
eigentlich nicht. Es kommt natürlich immer darauf an, wie etwas
zuende geht. Aber dass Dinge, Beziehungen zuende gehen, dass sich
Bedeutungen verlieren, dass Menschen sterben, war mir immer auch für
mich selbst vertraut.
Aber
es ging ja weiter. Der Drang, sich mitzuteilen, hörte nicht endgültig
auf.
Nein.
Man erholt sich, orientiert sich neu im Leben und stellt fest, es gibt
wieder etwas, das in einem Text verarbeitet sein will. Wenn ich mich
recht erinnere, kam der Gedanke zu dem Krimi „Continuity. Hitchcocks,
Pocahontas“ tatsächlich aus dem Wort selbst, aus der Tatsache, dass
es auch für mich kontinuierlich weiterging.
Ging
es wirklich kontinuierlich weiter?
Natürlich
nicht. Es gibt Sachen, die sich nicht realisieren lassen, dafür tauchen
Dinge auf, von denen man nicht einmal geträumt hatte. Beispielsweise habe
ich sehr früh mit dem Internet angefangen. Ich bin seit 1998 mit
kloy.de online. Ich habe das Internet von Anfang an als künstlerisches
Medium begriffen, das mir zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten gibt.
Und so etwas gibt mir immer einen enormen Schub.
Was
ist letztlich dieser Drang, weiterzumachen, wieder anzufangen?
Zweierlei.
Zum einen ist es der Drang zu gestalten. Das ist das, was mich antreibt.
Ich habe eine Idee, eine Vorstellung, ein Wort und ich fange an, das
auszugestalten, bis es die Form hat, von der ich sagen kann, das ist es,
so ist es, so muss es sein. Das andere ist die Spannung, aus der der
Drang entsteht. Die Spannung, der manchmal groteske Widerspruch zwischen
dem, was ich erlebe und dem, was ich lese. Meine Literatur zielt nicht
darauf ab, etwas zu bewirken, sondern ist ein Dialog mit und in der Welt
der Literatur. Die meisten, die Kafka lesen und Benn oder Auster und
Philip Roth, um willkürlich nur ein paar zu nennen, müssten auch mit
meinen Büchern etwas anfangen können. Den Widerspruch,
die
Spannung zwischen Gelesenem und Gelebtem kann ich nur mit Geschriebenem
lösen, in dem ich etwas gestalte, das den
Vorgang in einem Kunstwerk festhält und zumindest vorübergehend löst.
Kleist war es, glaube ich, der gesagt hat, das gestaltete Werk löst das
Problem.
So
kann man aber nicht die Probleme der Welt lösen.
Nein.
Wenn ich die Welt verändern wollte, wäre ich in die Politik gegangen, hätte als Terrorist
oder Kardinal Karriere gemacht. Literatur hat eine andere Funktion,
Literatur ist in erster Linie Literatur. Ich schreibe ja keine
Kochbücher oder Sexratgeber.
Was
ist mit der Karriere? Dem Erfolg, der Anerkennung?
Auch
das ist ein Erfolg: Ich bin
nun fast 60, lebe noch, habe mich weder geistig-körperlich, noch
materiell-finanziell an der Schreiberei aufgerieben. Und ich bin frei.
Ich habe keine Agentin, die mir sagt, in welchen Talk-Shows ich dummes
Zeug reden muss, keinen Verlag, der mir vorschreibt, welches
Marktsegment ich zu bedienen habe, keinen Lektor, der mich auf eine
never ending Lesetour schickt. Mir geht es in jeder Hinsicht gut, ich schreibe
an einem neuen Roman, habe angefangen, einzelne Titel von TL neu
aufzulegen („Die Grenze, der Strom und das Drama“ als „Transit
Wirklichkeit“), auch die „Rheinland-Papiere“ sollen nächstes Jahr
folgen, sowie meine Erzählungen in zwei Bänden von insgesamt rund 800
Seiten. Solange ich so produktiv sein kann, mache ich mir nicht allzu
viele Sorgen um meine Karriere und die fehlende Anerkennung. Bei aller
Vitalität, die mir gegeben wurde, die Kraft, die ich selbst für
bescheidensten fame & glamour aufbringen müsste, würde mir an anderer Stelle fehlen. Und früher
Erfolg hätte mich mit sex and drugs and rock’n roll mit Sicherheit
umgebracht. Mein Leben war bisher ohne all das aufregend
genug.
Keine
Nachteile daraus, nicht in Bestsellerlisten aufzutauchen?
Doch,
mit meinen verlegerischen Möglichkeiten erreiche ich nicht alle, die
meine Bücher vielleicht mit Gewinn und Vergnügen lesen würden. Ich
kann auch längst nicht alle Projekte realisieren; seit ein paar Jahren
liegt mein panoptisch-panoramischer Essay "Ein Mythos wird
vermessen" über die Rheinromantik auf Eis. Ich würde gerne einen
literaturwissenschaftlichen Band auflegen und nachweisen, dass Paul
Auster ein Neo-Romantiker ist, auch wenn seine Romane überwiegend in
New York spielen (1). Man
kann nicht alles haben. Das Wichtigste ist nämlich, dass ich möglichst
viele von den Büchern schreiben kann, die ich schreiben will.
Also
insgesamt zufrieden?
Ja.
Ohne selbstgefällig zu sein, kann ich sagen, ich habe immer das
gemacht, was ich für richtig halte.
Wirklich?
Ja.
Denn auch anders herum wird ein Schuh draus. Alles, was ich mache,
gemacht habe, egal was es war, und ich mache vieles, was nichts mit
meiner Schriftstellerei zu tun hat, mache ich so gut ich es kann, also
richtig. Kann man mehr von sich selbst erwarten?
Und
nicht enttäuscht?
Nein.
Es gibt ja nur einen, von dem ich alles erwarte, der mir alles schuldet,
dem ich alles abverlange, und der bin ich selbst. Und ich habe mir im
Laufe des Lebens alles gegeben, was ich von mir jeweils erwartet habe.
Hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich meine Möglichkeiten
immer recht gut einschätzen konnte. Kein Erfolg, keine Anerkennung?
Okay, das gehört eben nicht in meine Biografie. Weiter! Wenn wir aber
anfingen, darüber zu reden, wem ich dieses oder jenes schulde, wäre
das eine ganze andere Geschichte.
Wird
die noch geschrieben?
Wer weiß
;-)
Und?
Zufrieden mit dem Gespräch?
Nein.
Warum
nicht?
Weil
bei allem, was gesagt wird, die Wahrheit des Ungesagten verschwiegen
wird.
Was
tun?
Weitermachen.
Neu schreiben.
(1): "Ein Mythos wird vermessen - Rhein, Romantik und neue Raumerfahrung" ist 2019 erschienen und enthält ein Kapitel über die "unromantischen Romantiker" Paul Auster und Arno Schmidt.
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Da gibt es auch den noch erheblich zornigeren Kommentar zu meinem 50.
A Portrait of the Artist as an Old Man. |