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Alle Rechte vorbehalten © All rights reserved by Klaus-Dieter Regenbrecht 1998 - 2024
 

2010: 25 Jahre Tabu Litu, 60 Jahre KDR

Diesen Aufsatz und 18 weitere, plus 7 Cartoons finden Sie hier:
Den Widerspruch zwischen Gelesenem und
Gelebtem mit Geschriebenem lösen

 
Mitten in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts machten viele ihr eigenes Ding. Die Nach-68er, die Flower-Power-Anhänger der 70er fingen an, sich in ihrem Leben als alternative Erwachsene und nicht mehr als rebellierende Jugendliche einzurichten. 
Viele der Initiativen von damals sind Historie und vergessen, einiges hat überlebt und sich etabliert. Als ich, KD Regenbrecht, 1985 meinen Tabu Litu Verlag als Gewerbe anmeldete, war das also nichts besonderes.
Aber warum tat ich es? Ich versuche, das in einem Frage- und Antwortspiel zu erläutern.

Also, warum Tabu Litu?

Nachdem ich ein paar Jahre lang vergeblich versucht hatte, meine Manuskripte bei Verlagen unterzubringen und die übervolle Schublade mich daran hinderte, neue literarische Projekte anzufangen, musste ich etwas unternehmen. Selbstverlag an sich ist nichts Neues, aber ich wollte dennoch etwas anderes. Und so kam ich auf die Idee zu „Tabu Litu – ein documentum fragmentum in neun Büchern“ (TL). Also, nicht nur Selbstverlag, sondern ein literarisches Großprojekt. Die neun Bücher waren größtenteils schon als Manuskripte vorhanden und ich wollte sie als ein großes, zusammenhängendes Projekt veröffentlichen.

Mit welcher Perspektive wurde das Projekt gestartet?

Zunächst ging es darum, alte Manuskripte aus dem Weg zu schaffen. Weil es keinen Rahmen gab, in den meine Bücher passten, war für mich die logische Schlussfolgerung, selbst einen Verlagsrahmen für meine Bücher zu schaffen. Da TL ja auf neun Bücher angelegt war, hoffte ich, danach so weit zu sein, eine Karriere als Autor auf die übliche Art und Weise in Verlagen starten zu können.

Ist das passiert?

Nein. Es hat sich vieles völlig anders entwickelt, sowohl im Projekt TL als auch in der Verlags- und Medienlandschaft. Wer weiß noch, dass es bis 1984 in Deutschland kein Privatfernsehen mit all seinen Unsäglichkeiten gab; die Konterrevolution gegen den Geist begann damals auch.

Was hat sich im Projekt TL verändert?

Im ersten Buch TL, den Gedichten, ging ich noch davon aus, dass im Wesentlichen vorhandene Manuskripte oder angefangene Projekte veröffentlicht werden. Aber schon Buch 2 war der Krimi „Antikörper“, der eigentlich als Buch 5 erscheinen sollte. Und danach hatte ich nicht nur die Reihenfolge verändert, sondern mit Buch 5 „Die Grenze, der Strom und das Drama“ das vorhandene Manuskriptmaterial abgearbeitet, so dass ab Buch 6 „Stellas Promotion“ nur noch völlig neue Texte geschrieben und veröffentlicht wurden. Das hatte außerdem zur Folge, dass das Projekt nicht schon 1990 mit Buch 5 abgeschlossen wurde, sondern erst 1999 mit dem Roman „Die Rheinland-Papiere“.

Was war das für ein Gefühl, nach 15 Jahren ein solches Projekt abzuschließen?

Ich kann mich gar nicht mehr so genau erinnern. Ich war ja nicht nur mit meinem Projekt TL beschäftigt, sondern lebte auch, heiratete, wurde Vater, musste Geld verdienen. Aber es war merkwürdig. Der Drucker, der alle meine Bücher gedruckt hatte, einer aus meiner Generation, der als Drucker sein eigenes Ding gemacht hatte, bei dem ich meine Bücher selbst zusammenklebte und bei Schneidefeten in wilden Vernissagen präsentierte, fuhr sich mit dem Motorrad tot, kaum war der letzte Druckbogen fertig. Die letzten drei Ziffern der ISBN, die ja lange vorher festgelegt waren, sind das Datum seines Todestages.

Mystisch. Welche Bedeutung hat so etwas? Das eine Ende und das andere. Ein Anfang? 

Zufälle sind Ereignisse, deren inneren Zusammenhang wir nicht erkennen. Ich selbst fing an, mir Gedanken zu machen, was passieren könnte, wenn TL vollendet war. Mein eigener Tod zu dem Zeitpunkt schien mir durchaus ein Ende zu sein, das eine gewisse Logik, einen dramaturgischen Charme gehabt hätte. Aber ich lebte weiter und hatte keine Vorstellung, wie es weitergehen sollte, was ich schreiben könnte.

Krise? Der Gedanke aufzuhören? Nichts mehr schreiben zu können, keinen Erfolg, keine Anerkennung zu haben?

Immer wieder. Es gab auch ganze Jahre, in denen ich nicht einmal ein Buch gelesen hätte. Das ist normal. Was dennoch jedes Mal spannend und neu ist, weil man ja nicht weiß, ob man wieder auf die Beine kommt. Denn irgendwann ist ja nun einmal endgültig Ende.

Keine Angst davor?

Nein, eigentlich nicht. Es kommt natürlich immer darauf an, wie etwas zuende geht. Aber dass Dinge, Beziehungen zuende gehen, dass sich Bedeutungen verlieren, dass Menschen sterben, war mir immer auch für mich selbst vertraut.

Aber es ging ja weiter. Der Drang, sich mitzuteilen, hörte nicht endgültig auf.

Nein. Man erholt sich, orientiert sich neu im Leben und stellt fest, es gibt wieder etwas, das in einem Text verarbeitet sein will. Wenn ich mich recht erinnere, kam der Gedanke zu dem Krimi „Continuity. Hitchcocks, Pocahontas“ tatsächlich aus dem Wort selbst, aus der Tatsache, dass es auch für mich kontinuierlich weiterging.

Ging es wirklich kontinuierlich weiter?

Natürlich nicht. Es gibt Sachen, die sich nicht realisieren lassen, dafür tauchen Dinge auf, von denen man nicht einmal geträumt hatte. Beispielsweise habe ich sehr früh mit dem Internet angefangen. Ich bin seit 1998 mit kloy.de online. Ich habe das Internet von Anfang an als künstlerisches Medium begriffen, das mir zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Und so etwas gibt mir immer einen enormen Schub.    

Was ist letztlich dieser Drang, weiterzumachen, wieder anzufangen?

Zweierlei. Zum einen ist es der Drang zu gestalten. Das ist das, was mich antreibt. Ich habe eine Idee, eine Vorstellung, ein Wort und ich fange an, das auszugestalten, bis es die Form hat, von der ich sagen kann, das ist es, so ist es, so muss es sein. Das andere ist die Spannung, aus der der Drang entsteht. Die Spannung, der manchmal groteske Widerspruch zwischen dem, was ich erlebe und dem, was ich lese. Meine Literatur zielt nicht darauf ab, etwas zu bewirken, sondern ist ein Dialog mit und in der Welt der Literatur. Die meisten, die Kafka lesen und Benn oder Auster und Philip Roth, um willkürlich nur ein paar zu nennen, müssten auch mit meinen Büchern etwas anfangen können. Den Widerspruch, die Spannung zwischen Gelesenem und Gelebtem kann ich nur mit Geschriebenem lösen, in dem ich etwas gestalte, das den Vorgang in einem Kunstwerk festhält und zumindest vorübergehend löst. Kleist war es, glaube ich, der gesagt hat, das gestaltete Werk löst das Problem.

So kann man aber nicht die Probleme der Welt lösen.

Nein. Wenn ich die Welt verändern wollte, wäre ich in die Politik gegangen, hätte als Terrorist oder Kardinal Karriere gemacht. Literatur hat eine andere Funktion, Literatur ist in erster Linie Literatur. Ich schreibe ja keine Kochbücher oder Sexratgeber. 

Was ist mit der Karriere? Dem Erfolg, der Anerkennung?

Auch das ist ein Erfolg: Ich bin nun fast 60, lebe noch, habe mich weder geistig-körperlich, noch materiell-finanziell an der Schreiberei aufgerieben. Und ich bin frei. Ich habe keine Agentin, die mir sagt, in welchen Talk-Shows ich dummes Zeug reden muss, keinen Verlag, der mir vorschreibt, welches Marktsegment ich zu bedienen habe, keinen Lektor, der mich auf eine never ending Lesetour schickt. Mir geht es in jeder Hinsicht gut, ich schreibe an einem neuen Roman, habe angefangen, einzelne Titel von TL neu aufzulegen („Die Grenze, der Strom und das Drama“ als „Transit Wirklichkeit“), auch die „Rheinland-Papiere“ sollen nächstes Jahr folgen, sowie meine Erzählungen in zwei Bänden von insgesamt rund 800 Seiten. Solange ich so produktiv sein kann, mache ich mir nicht allzu viele Sorgen um meine Karriere und die fehlende Anerkennung. Bei aller Vitalität, die mir gegeben wurde, die Kraft, die ich selbst für bescheidensten fame & glamour aufbringen müsste, würde mir an anderer Stelle fehlen. Und früher Erfolg hätte mich mit sex and drugs and rock’n roll mit Sicherheit umgebracht. Mein Leben war bisher ohne all das aufregend genug.

Keine Nachteile daraus, nicht in Bestsellerlisten aufzutauchen?

Doch, mit meinen verlegerischen Möglichkeiten erreiche ich nicht alle, die meine Bücher vielleicht mit Gewinn und Vergnügen lesen würden. Ich kann auch längst nicht alle Projekte realisieren; seit ein paar Jahren liegt mein panoptisch-panoramischer Essay "Ein Mythos wird vermessen" über die Rheinromantik auf Eis. Ich würde gerne einen literaturwissenschaftlichen Band auflegen und nachweisen, dass Paul Auster ein Neo-Romantiker ist, auch wenn seine Romane überwiegend in New York spielen (1). Man kann nicht alles haben. Das Wichtigste ist nämlich, dass ich möglichst viele von den Büchern schreiben kann, die ich schreiben will.

Also insgesamt zufrieden?

Ja. Ohne selbstgefällig zu sein, kann ich sagen, ich habe immer das gemacht, was ich für richtig halte.

Wirklich?

Ja. Denn auch anders herum wird ein Schuh draus. Alles, was ich mache, gemacht habe, egal was es war, und ich mache vieles, was nichts mit meiner Schriftstellerei zu tun hat, mache ich so gut ich es kann, also richtig. Kann man mehr von sich selbst erwarten?

Und nicht enttäuscht?

Nein. Es gibt ja nur einen, von dem ich alles erwarte, der mir alles schuldet, dem ich alles abverlange, und der bin ich selbst. Und ich habe mir im Laufe des Lebens alles gegeben, was ich von mir jeweils erwartet habe. Hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich meine Möglichkeiten immer recht gut einschätzen konnte. Kein Erfolg, keine Anerkennung? Okay, das gehört eben nicht in meine Biografie. Weiter! Wenn wir aber anfingen, darüber zu reden, wem ich dieses oder jenes schulde, wäre das eine ganze andere Geschichte.

Wird die noch geschrieben?

Wer weiß ;-)

Und? Zufrieden mit dem Gespräch?

Nein.

Warum nicht?

Weil bei allem, was gesagt wird, die Wahrheit des Ungesagten verschwiegen wird.

Was tun?

Weitermachen. Neu schreiben.

(1): "Ein Mythos wird vermessen - Rhein, Romantik und neue Raumerfahrung" ist 2019 erschienen und enthält ein Kapitel über die "unromantischen Romantiker" Paul Auster und Arno Schmidt.

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Da gibt es auch den noch erheblich zornigeren Kommentar zu meinem 50.
A Portrait of the Artist as an Old Man
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